Sonntägliche Zensurgedanken

So nich'
So nich'

In der Schwüle eines faulen Augustsonntags ist nichts besser, als sich fast bewegungslos durch die Weiten des Internet zu klicken und sich über dessen Zukunft Sorgen zu machen. Denn das Internet als freies, demokratisches und zum Leidwesen einiger wie auch zur Freude vieler eben schwierig kontrollierbares Medium gerät mittlerweile immer mehr in das Schussfeld unserer Politik. Als rechtsfreier Raum und Hort von Kinderschändern, Kriminellen, Betrügern, Diffamierern und Mobbern ist es wohl auch höchste Zeit, dass der Staat hier regulierend eingreift. Vor allem auch deshalb, weil es im aufkommenden Wahlkampf ein so schön dankbares Thema hergibt. Hier kann man sich als Kämpfer(in) für Recht und Ordnung noch mal so richtig schön bei deutschen Stammtischen und Massenmedien hervortun, ohne allzu viel Leuten weh zu tun (von 135.000 notorischen Kritikern mal abgesehen, aber das ist immer noch verhältnismäßig wenig). Und das Beste dabei ist auch, dass man die Kosten für die Maßnahmen auch noch anderen aufs Auge drücken kann, ohne den durch die Rettung systemrelevanter Banken eh schon zu Genüge belasteten Steuerzahler noch weiter zur Kasse zu bitten. Was will man mehr?

In der Internetszene, im Kreise von Leuten, die mit dem Netz als Medium aufgewachsen und damit vertrauter sind als die uns regierenden alten Herren mit Kugelschreibern, formiert sich schon länger Widerstand gegen den Aufbau einer (zu welchem Zwecke auch immer aufgebauten) Zensurinfrastruktur, die das Zugangserschwerungsgesetz de facto darstellt. Und der Widerstand nimmt ungekannte Ausmaße an, wie etwa die Petition gegen das Gesetz mit dem erwähnten 135.000 Stimmen (damit die erfolgreichste e-Petition überhaupt), der Erfolg der Piratenpartei bei der Europawahl sowie der Mitgliederzahl und das Heißlaufen der Bloggerszene bei diesem Thema zeigen.

Und so kontrovers wie im (noch unkontrollierten) Internet diskutiert wird, so geht das Thema, vom Nachplappern der offiziellen Verlautbarungen der politischen Befürworter abgesehen, an den kommerziellen Medien fast völlig vorbei (zumindest sofern der Schauplatz nicht Iran ist, dessen Blogger Helden und nicht wie die in Europa journalistische Stümper sind). Ob dies nun daran liegt, dass das Thema zu komplex ist, zu banal erscheint, sie ihre Existenz im Angesicht zurückgehender Auflagen und Werbeeinahmen durch die freie Verfügbarkeit von Informationen im Internet bedroht sehen oder generell eine Verschwörung der Illuminaten dahintersteht, sei mal dahingestellt. Immerhin hat sich der Spiegel erbarmt, in der Saure-Gurken-Zeit das Thema zum Aufmacher zu machen. In Unkenntnis des Inhalts werde ich mich des Kommentars zum Inhalt und der Kündigung meines Abos vorerst enthalten, das Forum zum Artikel ist aber schonmal Schauplatz heißer Diskussionen.

Der Kurs der SPD scheint mittlerweile auch schon festzustehen. Nachdem die Affäre um Ulla Schmidt begraben und sie Mitglied in Steinmeiers Schattenkabinett ist, hat sich auch schon dessen Familienministerin mit dem Wunsch einer rascheren Umsetzung der Internetsperren im Falle der Wahl hervorgetan. Zusammen mit der köstlichen Geschichte des Wirtschaftsreferenten der SPD (der meinte, Betreiber eigener DNS-Server könnten sich des Danks von Kinderschändern sicher sein, worauf der Blogger evildaystar der SPD den Betrieb eines eigenen DNS-Server nachwies) zeigt sich auf bestürzende Weise die diesbezügliche Inkompetenz und Konzeptlosigkeit der SPD. Ob sie wohl die 5%-Hürde anpeilt? Um endlich wieder in die Opposition zu dürfen? Die Zeichen mehren sich (s. auch ganz unten hier)…

Egal, nachdem die SPD nun wie auch schon vorher für Internetnutzer auscheidet, so wie CDU/CSU generell und die FDP zumindest nach dem Sommerinterview, bleiben nur noch Grüne und die Linke als bedingte Alternative. Oder doch eher Splittergruppen wie die leichtsinnigerweise nicht zugelassene Partei Die Partei, die HSP oder eben die Piraten, die von der geringen Medienkompetenz der Volksparteien wohl wie keine zweite Partei profitiert haben.
Egal wie die Wahl ausgeht, erneut die Straßen Berlins zu bevölkern scheint mir eine gute Idee. Und die Forderung nach einer Aufhebung der Immunität unserer Abgeordneten sollten wir nicht aus den Augen verlieren. Denn das Parlament darf kein rechtsfreier Raum sein!

Herzlichst,

Euer chrjue

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