Aufbruch zum Mond

First Man
von Damien Chazelle, mit Ryan Gosling und Claire Foy

Die Geschichte kennt jeder: 1961 kündigte John F. Kennedy an, vor Ende des Jahrzehnts einen Menschen zum Mond und heil wieder zurück zu bringen, und am 20. Juli 1969 um 2:56:20 UTC setzte Neil Armstrong als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond und schrieb dadurch Geschichte. Doch die Geschichte dahinter, eine unmögliche Mission möglich zu machen und die Geschichte der Menschen, die genau das getan haben, die dürfte weniger bekannt sein. Und so nehmen wir uns in diesem Film die Zeit dafür. Wir erleben, wie der junge Testpilot Neil Armstrong in der X-15 sein erstes Mal die Atmosphäre verlässt, wie er sich für die Gemini-Mission bewirbt, angenommen wird und Jahre später mit einem Koppelmanöver im All ein erstes Mal Geschichte schreibt, wie er Kommandant von Apollo 11 wird, zum Mond fliegt besagten ersten Schritt macht und dann einen der meistzitierten Sätze der Geschichte macht. Wir erleben aber auch, wie riskant das alles war, welche Entbehrungen die Mission mit sich brachte, wie Freunde und Kameraden reihenweise sterben, Technik versagte und der schließliche Erfolg bei weitem nicht sicher, sondern mit viel Glück verbunden war. Was das alles für die Familien, Kinder, Ehefrauen bedeutete, die am Boden blieben und einfach nur hoffen konnten. Und was das für Menschn waren, die trotzdem weitergemacht haben. Und das ist mindestens ebenso packend wie die Reise zum Mond es schon ist.

Was ist schwieriger: Zum Mond zu fliegen oder Deinen Kindern zu sagen, dass Du vielleicht nicht wiederkommst? Wenn Damien Chazelle (La La Land, Whiplash) sich mit Neil Armstromg beschäftigt war ja klar, dass er sich nicht einfach nur mit coolen Bildern, mit Technik-Pornographie und markigen Sprüchen abgibt, sondern nach Innen schaut, in die Köpfe der Menschen, die das Unmöglich schafften. Das schreckte viele Leute ab, die von gängigem Kinofastfood verdorben nicht bereit sind, sich mit neuen Perspektiven auseinanderzusetzen und sich lieber an der Nebensächlichkeit auslassen, dass das Aufstellen der amerikanischen Flagge nicht gezeigt wird. Ja, Damien Cahzelle und Armstromg-Darsteller Ryan Gosling haben sich gründlich mit der Hauptfigure beschäftigt, der sich Zeit seines Lebens nicht als Helden sah, sondern als jemanden, der durch Zufall und Glück an der Spitze der 400.000 Menschen stand, die die Mondreise ermöglicht haben, und der es für die gesamte Menschheit tat, allein schon, um ihr eine neue Perspektive zu eröffnen. Dass davon in den heutigen Zeiten nicht mehr viel übrig ist (Stichwort „Flat Earther“), bekommt er zum Glück nicht mehr mit. Insofern mag seine Verschlossenheit und Stoizität nicht so recht in das heutige Bild eines amerikanischen Helden passen, ist insofern aber realistisch, da die NASA kein Draufgänger brauchte, sondern Leute, die auch dann einen ruhigen Kopf bewahren, wenn um sie herum alles auseinanderfällt und letzte Woche ein gute Freund gestorben ist. Dass Neil Armstrong so ein Mensch war, bestätigt nicht nur sein Benennung zum Kommandanten, sondern auch seine Kinder, die die von Nörglern bemängelte Darstellung im Film als überaus nah der Realität beschrieben.

Überhaupt war Regisseur Gazelle der Realismus besonders wichtig. Von den (fast) maßstabsgetreuen Nachbauten der Raumfähren, der Verwendung der originalen Funksprüche und der Vermeidung der üblichen Sci-Fi Klischee-Fehler legt er es konsequent darauf an, die Missionen so realitätsnah wie möglich zu gestalten. Die Kamera ist dabei immer nah an den Hauptfiguren dran, selten gibt eine Totale einen Überblick, meistens gibt es auch für den Zuschaure nur den schmalen Blick durch viel zu kleine Fenster auf das gewaltige Schauspiel da draußen. Auf die Spitze getrieben bei der Darstellung der Gemini 8 Mission, die praktisch vollständig aus Sicht der Besatzung gezeigt wird, die in eine winzige Konservendose eingeschlossen auf vielen Tonnen Treibstoff sitzt und nur hoffen kann, das da draußen alle ihren Job machen. Es knarzt, es ruckelt, es dröhnt, Kräfte wirken, Funksprüche gehen fast im Lärm unter, aus blau wird schwarz, aus Lärm Totenstille – so hat man einen Eindruck, was es hieß, Astronaut zu sein. Ein realismus, der diesen Film auf eine Stufe mit Apollo 13 und Gravity hebt.

Doch ebenso fesselnd ist die Beziehung Armstrongs zu seiner Frau und seinen Kindern. Eben noch an Bord der X-15 fast ums Leben gekommen, hält er nun seine krebskranke Tochter im Arm, und trägt sie nicht viel später zu Grabe, nur um am nächsten Tag wieder zu arbeiten. Während er versucht, seine Emotionen möglichst gut unter Kontrolle zu halten, um sich auf die Mission zu konzentrieren, versucht seine Frau, sich um die Kinder und die eigene Angst zu kümmern, in dem Wissen, sich für dieses Leben entschieden zu haben, und in dem Wissen, dass Kontrolle nur eine Illusion ist. Und die Antwort auf die eingangs gestellte Frage für Armstrong wohl eher das mit den Kindern ist.

In Summe ist Chazelle hiermit ein unkonventioneller, aber gerade deshlab großartiger Film zum Mondflug gelungen, der zum einen so überaus realistisch die Mondreise darstellt, als wäre man selber mit dabei, aber sich zum anderen kaum mit den üblichen Schauwerten des Genres abgibt, sondern sich mit den Menschen dahinter beschäftigt, was fast noch spannender ist. Wer es irgendwie einrichten kann, sollte sich diesen Film anschauen, auf einer möglichst großen Leinwand und mächtiger Soundanlage. Meisterwerk! (10/10)

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