Bereits im Vorwort zu seinem Roman Jeder stirbt für sich allein entschuldigt sich der Autor Hans Fallada dafür, dass „in diesem Buche reichlich viel […] gestorben“ wird. Die Geschichte des Berliner Ehepaars, dass ihren Sohn im Dritten Reich verliert und sich auf seine ganz eigene Art gegen das Naziregime auflehnt, basiert auf einer wahren Begebenheit. Die Kralle des Todes – so viel sei verraten – schließt sich nicht nur um das Ehepaar selbst, sondern um nahezu jeden, der mit dem Fall in Berührung kommt. Diese tragisch verschiedenen, unerlöst geplagten Seelen beschwört Andrea Schröder in ihrem „Ghosts of Berlin“ wieder herauf und gibt damit all den Opfern Berlins – der Stadt, die wie wohl keine zweite europäische von der Geschichte des 20. Jahrhunderts durchgeschüttelt wurde – eine gemeinsame Hymne, die weit über 2014 hinaus erklingen wird.
Tonträger
Mumford & Sons – Babel
Es regnet. Du stürzt durch die dreckigen Straßen wie eines der Kaninchen, die man manchmal im Park aufschreckt. Der kalte Nieselregen kriecht unter Deine Kleidung und lässt Dich schaudern. Du bist jemandem begegnet, der Dir viel bedeutet und sie hat nur kurz genickt. Wenn überhaupt. Du fühlst Dich wie eine Mülltüte mit einem zu vollem Terminkalender. Plötzlich wird es dunkel und Du stehst mitten im Wald. Es schneit und der eisige Wind lässt Deine nassen Sachen bretthart gefrieren. Der Schwindel macht die Orientierung immer schwieriger. Irgendwo ist ein schwaches Licht zu sehen. Ein Auto oder eine Waldhütte mit rauchendem Kamin. Langsam arbeitest Du Dich gegen den Wind in die Richtung des Lichts. Du taumelst, landest im Schnee, die Kälte durchzuckt Dich. Irgendwie kommst Du wieder auf die Beine. Kurz vor der Hütte brichst Du wieder zusammen und bleibst kraftlos liegen. „Dann eben nicht“, denkst Du Dir genau in dem Moment, als sich die Tür öffnet und sich ein leiser Lichtstrahl in die Nacht verläuft. In der Tür steht ein Freund. Einer, den Du lange nicht gesehen hast und den Du seit Monaten mal wieder anrufen wolltest. Er kommt zu Dir und hebt Dich auf. Trägt Dich in die Hütte und setzt Dich vor der wabernden Wärme des Kaminfeuers ab. „Bier oder Whisky?“, ist das einzige, was er wissen will. Zum ersten Mal seit Wochen streicht ein Lächeln über Dein Gesicht und Du antwortest: „Beides.“.
Die Platte des (Spät-)Sommers: BerlinskiBeat – Gassenhauer
Die Platte des diesjährig etwas verspäteten Sommers kommt aus Berlin! Bevor jetzt wieder alle empört „Lokalpatriotismus“ schreien, darf kurz aus einer Ankündigung auf radioeins zitiert werden: „Ein polnischer Dudelsackspieler, ein deutscher Tubist, ein tschechischer Trompeter, ein Sänger aus der Blutlinie eines waschechten Zigeunerkönigs, ein DJ aus Bosnien, West- und Ostberliner Schlagzeuger und Percussionisten – eine explosive Mischung aus Straßenmusik, Clubsounds und Berliner Schnauze.“ Na jut, kann man so sagen. Neudeutsch könnte man ooch sagen Balkan-Pop meets Seeed meets Comedian Harmonists und wer dazu nicht tanzt, ist tot.
Die sympathischste Band der Welt und ihr neues Album: The Shins – Port of Morrow
Ein praktischer Lebensrat für den männlichen Mittdreißiger, der in die Verlegenheit kommt, nach seiner Lieblingsband gefragt zu werden und weder mit AC/DC (zu prollig) noch mit U2 (zu unre-flektiert) auch nicht mit Kraftklub (zu jung!) antworten möchte: The Shins bieten sich als Lieblingsband geradezu an, da sie weder zu bodenständig, noch zu abseitig, weder zu männlich, noch zu uncool, dabei grundsympathisch sind und mindestens zwei der fünf schönsten Lieder des letzten Jahrzehnts geschrieben haben.
Kraftklub (mit K)
Schon Ende Februar ist klar: Um deutsche Musik muss man sich im Jahr 2012 keine Sorgen machen. Seit Anfang des Jahres erscheinen großartige Musikalben aus Deutschland mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre dem nie anders gewesen. Zunächst veröffentlicht mit Max Prosa ein junger Berliner sein Debüt Die Phantasie wird siegen, der erkennbar das Bob-Dylan-Gen in sich (und vor sich her) trägt. So zweispältig man dem Album gegenüber stehen kann, ist es wohl unbestritten, dass dieser junge Musiker, der eigentlich besser Max Lyrik heißen sollte, die Musikszene noch nachhaltig bereichern wird. Kurz darauf melden sich Kettcar mit ihrem vierten Album Zwischen den Runden erholt und weiser denn je zurück und machen sich auf, die wichtigste deutsche Band der Gegenwart zu werden. Doch die beiden geplanten Rezensionen werden von den Ereignissen überholt, als die Rotzlöffel von Kraftklub ihr kurz aber durchweg schlüssig betiteltes Debütalbum Mit K vorlegen.