Es regnet. Du stürzt durch die dreckigen Straßen wie eines der Kaninchen, die man manchmal im Park aufschreckt. Der kalte Nieselregen kriecht unter Deine Kleidung und lässt Dich schaudern. Du bist jemandem begegnet, der Dir viel bedeutet und sie hat nur kurz genickt. Wenn überhaupt. Du fühlst Dich wie eine Mülltüte mit einem zu vollem Terminkalender. Plötzlich wird es dunkel und Du stehst mitten im Wald. Es schneit und der eisige Wind lässt Deine nassen Sachen bretthart gefrieren. Der Schwindel macht die Orientierung immer schwieriger. Irgendwo ist ein schwaches Licht zu sehen. Ein Auto oder eine Waldhütte mit rauchendem Kamin. Langsam arbeitest Du Dich gegen den Wind in die Richtung des Lichts. Du taumelst, landest im Schnee, die Kälte durchzuckt Dich. Irgendwie kommst Du wieder auf die Beine. Kurz vor der Hütte brichst Du wieder zusammen und bleibst kraftlos liegen. „Dann eben nicht“, denkst Du Dir genau in dem Moment, als sich die Tür öffnet und sich ein leiser Lichtstrahl in die Nacht verläuft. In der Tür steht ein Freund. Einer, den Du lange nicht gesehen hast und den Du seit Monaten mal wieder anrufen wolltest. Er kommt zu Dir und hebt Dich auf. Trägt Dich in die Hütte und setzt Dich vor der wabernden Wärme des Kaminfeuers ab. „Bier oder Whisky?“, ist das einzige, was er wissen will. Zum ersten Mal seit Wochen streicht ein Lächeln über Dein Gesicht und Du antwortest: „Beides.“.
So etwa lässt sich das Gefühl beschreiben, das einen durchströmte, als Mumford & Sons mit dem gesungenen Shakespeare-Zitat serve God, love me and mend zum ersten Song und Titellied ihres Debutalbums Sigh No More ansetzten. Und dieses Gefühl hielt an. Bis heute. Sei es das rockige „The Cave“, das verbitterte „White Blank Page“ oder das tanzbare „Little Lion Man“ – jedes der Lieder auf Sigh No More war und ist wie ein guter Whisky und vermag einen auf seine eigene Weise zu wärmen und zu trösten. Der mehrstimmig arrangierte Folk-Rock erinnerte bedingt an amerikanische Pendants, ohne jedoch die Stimme von Marcus Mumford in einem Einheitsbrei verschwinden zu lassen und wie die Fleet Foxes mit wehenden Silberbärten durch die griechische Mythologie zu segeln. Mumford & Sons stehen eher schwitzend in einem angenehm herunter gekommenen Pub und singen, als hingen ihre Leben davon ab.
Nach verhaltenem Start verkaufte sich Sigh No More wie warme Semmeln und erreichte sogar in den USA Platz 2 der Albumcharts (für Musiker aus dem Königreich eigentlich eine Unmöglichkeit). Jetzt liegt der Nachfolger Babel in den Plattenläden und soll diesen Erfolg wiederholen.
Wenig bis gar nichts hat sich auf dem zweiten Album geändert. Das ist von einer Band, deren Name wie ein mittelständisches Traditionsunternehmen klingt und deren Alben ganz klassisch immer nach dem ersten Song benannt sind, auch nicht anders zu erwarten. Apropos erster Song, schon das großartige „Babel“ mit seinen offen herumhängenden Melodien ist der Beweis, dass Mumford & Sons das Liederschreiben nicht verlernt haben. „I Will Wait“ ist eine sehr gute erste Single, wenn man erst mal aufhört, sie mit „Little Lion Man“ zu vergleichen.
Mumford & Sons ‚I Will Wait‘ from Pulse Films on Vimeo.
Dass nach dem in der Intensität unerwartet großen Erfolg des Debüts sich auf dem zweiten Album auch ein wenig Kalkül und Vorhersehbarkeit eingeschlichen haben, kann man leicht verzeihen, wenn dabei Songs wie „Ghosts that We Knew“, „Reminder“ und „Hopeless Wanderer“ herauskommen. Songs, die direkt ins Knochenmark dringen. Ohne jede Eile beschließen die Londoner das Album mit dem wunderbaren „Not with Haste“. Wer jetzt noch nicht entschleunigt ist, hört Babel einfach noch mal von vorn.
Also, wer Mumford & Sons noch nicht kennen sollte: Sofort Sigh No More kaufen! Alle anderen: Ab nach Babel!
(Sigh No More: 10 Punkte, Babel: 8 Punkte)