Wer schon überrascht die Stirn gerunzelt hatte, dass auf den Feierlichkeiten der Olympischen Spiele in London so ziemlich jede britische Band der letzten 50 Jahre zitiert wurde – nur Coldplay nicht, kann sich nun entspannt zurücklehnen. Auf dem Zenit ihrer musikalischen Karriere hatte die wichtigste (britische) Band des letzten Jahrzehnts die Ehre, mit einem über einstündigen Konzert den Schlussakkord des britischen Sommermärchens zu setzen. Und Coldplay sowie die 1200 übrigen Akteure im Olympiastadion zeigen, dass sie dieser Ehre gerecht werden. Welche andere Band könnte derzeit so selbstbewusst und routiniert vor 80.000 Zuschauern spielen und dabei gleichzeitig ihre Freude und Demut vor der Besonderheit des Augenblicks zeigen? Eine gute Stunde, die in die Popkonzertgeschichte eingehen wird.
Tobe
Die Platte des (Spät-)Sommers: BerlinskiBeat – Gassenhauer
Die Platte des diesjährig etwas verspäteten Sommers kommt aus Berlin! Bevor jetzt wieder alle empört „Lokalpatriotismus“ schreien, darf kurz aus einer Ankündigung auf radioeins zitiert werden: „Ein polnischer Dudelsackspieler, ein deutscher Tubist, ein tschechischer Trompeter, ein Sänger aus der Blutlinie eines waschechten Zigeunerkönigs, ein DJ aus Bosnien, West- und Ostberliner Schlagzeuger und Percussionisten – eine explosive Mischung aus Straßenmusik, Clubsounds und Berliner Schnauze.“ Na jut, kann man so sagen. Neudeutsch könnte man ooch sagen Balkan-Pop meets Seeed meets Comedian Harmonists und wer dazu nicht tanzt, ist tot.
Die sympathischste Band der Welt und ihr neues Album: The Shins – Port of Morrow
Ein praktischer Lebensrat für den männlichen Mittdreißiger, der in die Verlegenheit kommt, nach seiner Lieblingsband gefragt zu werden und weder mit AC/DC (zu prollig) noch mit U2 (zu unre-flektiert) auch nicht mit Kraftklub (zu jung!) antworten möchte: The Shins bieten sich als Lieblingsband geradezu an, da sie weder zu bodenständig, noch zu abseitig, weder zu männlich, noch zu uncool, dabei grundsympathisch sind und mindestens zwei der fünf schönsten Lieder des letzten Jahrzehnts geschrieben haben.
Kraftklub (mit K)
Schon Ende Februar ist klar: Um deutsche Musik muss man sich im Jahr 2012 keine Sorgen machen. Seit Anfang des Jahres erscheinen großartige Musikalben aus Deutschland mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre dem nie anders gewesen. Zunächst veröffentlicht mit Max Prosa ein junger Berliner sein Debüt Die Phantasie wird siegen, der erkennbar das Bob-Dylan-Gen in sich (und vor sich her) trägt. So zweispältig man dem Album gegenüber stehen kann, ist es wohl unbestritten, dass dieser junge Musiker, der eigentlich besser Max Lyrik heißen sollte, die Musikszene noch nachhaltig bereichern wird. Kurz darauf melden sich Kettcar mit ihrem vierten Album Zwischen den Runden erholt und weiser denn je zurück und machen sich auf, die wichtigste deutsche Band der Gegenwart zu werden. Doch die beiden geplanten Rezensionen werden von den Ereignissen überholt, als die Rotzlöffel von Kraftklub ihr kurz aber durchweg schlüssig betiteltes Debütalbum Mit K vorlegen.
Ein gigantisches Album: Coldplay – Mylo Xyloto
Es ist ja durchaus nachvollziehbar: Als Kritiker darf man dieses Album nicht mögen. Wozu den Musikhörern da draußen ein Album empfehlen, dass sie sich ohnehin kaufen werden? Das führt die Aufgabe des Kritikers ad absurdum. Deshalb wird nun seit Erscheinen von Coldplays fünftem Studioalbum in Musikredaktionen rund um die Welt der warnende Zeigefinger gehoben und „Ausverkauf“ gemurmelt, manch einer spricht stirnrunzelnd von „überproduziert“ und mit vielsagendem Blick von „Brian Eno“. Und die boshaftesten unter ihnen versetzen Coldplay den Dolchstoß und raunen naserümpfend das Wort, das jeden Zweifel über die Qualität eines Albums zu Gewissheit werden lässt: „POP“.