Das Weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte

Das Weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte

von Michael Haneke, mit Christian Friedel, Ulrich Tukur, Burghart Klaußner, Josef Bierbichler, Rainer Bock, Leonie Benesch und Detlef Buck

Das weiße Band
Das weiße Band

„Ey“, „Digger“, „Alder“, „krass“, „geil“ – nix da! Im Jahre 1913 haben Schüler noch Respekt vor Eltern und Lehrern, grüßen höflich, widersprechen nicht und sind sittsam angezogen. Wir bekommen auch eine ziemlich konkrete Vorstellung davon, warum das so ist. Denn unter dem Regiment der Honoratioren des Dorfes, bestehend aus Pastor, Baron, Doktor und Lehrer, werden Fehltritte streng und unnachgiebig gestraft – natürlich immer im Einklang mit Gottesfurcht und Tradition.

Der Lehrer ist es nun, von dessen Stimme wir durch die mysteriösen Ereignisse geführt werden, die, wie er anscheinend aus einer Zukunft als alter Mann befindet, „ein erhellendes Licht auf manche Vorgänge in unserem Land“ werfen könnten. Es beginnt mit dem Doktor, der bei einem Ausritt durch ein perfide gespanntes Drahtseil zu Fall und ins Krankenhaus gebracht wird. Es setzt sich fort mit einer Bäuerin, die im Sägewerk des Barons tödlich verunglückt, voraufhin der Sohn des Barons entführt und später misshandelt vorgefunden wird.

Trotz der Apelle des gestrengen Pastors und des Barons, zur Aufklärung der Taten beizutragen, setzen sich die Vorfälle fort. Wozu das zunehmende Misstrauen der Bevölkerung, meist gefangen in gegenseitigen Abhängigkeiten und Traditionen, sicher auch seinen Teil beiträgt. Zunächst abgelenkt durch eine zarte Romanze ist es schließlich der Dorflehrer, dem in diesem Zusammenhang etwas am Verhalten seiner Schüler merkwürdig vorkommt. Besonders die Kinder des Pastors fallen ihm auf, die bei den Unfällen meist als Erste am Unglücksort waren. Sie tragen, von ihrem Vaters als Strafe für unbedeutende Vergehen auferlegt, bereits seit Monaten ein Zeichen der Reinheit und Unschuld an ihrer Kleidung – das weiße Band.


Regisseur Michael Haneke ist keiner, der es dem Zuschauer einfach macht und ihm Antworten auf dem Silbertablett serviert. Nein, der Kinobesucher muss sich diese selbst erarbeiten. Die Antworten, die er findet, sind dann allerdings nicht unbedingt die, die er gesucht hat. Aber sie regen zum Nachdenken an. Wenn die drängendste Frage zunächst auch die nach dem Täter ist, so ist sie doch die unbedeutendste. Vielmehr ist die Frage, in welchem Umfeld die hier gezeigten Gewaltakte gedeihen.

Es wird deutlich, dass hinter der beschaulichen Fassade eines abgelegenen norddeutschen Dorfes, ein Umfeld von Gewalt, ob nun physisch oder psychich herrscht, genährt von religiösem Eifer und starren Traditionen. Ob der Doktor seine treue Geliebte demütigt, der Baron schwache Bäuerinnen für gefährlich Arbeiten einsetzt, der Pastor im Namen der Liebe zu Christus und seinen Kindern grausame Strafen erlässt oder der Verwalter brutal seine Söhne prügelt – hier kann keine Kinderseele Liebe lernen, nur Schmerz und Demütigung. Dass sie den Druck im Film schließlich weitergeben und ihren Frust so gegen die Erwachsenenwelt richten, ist eine Andeutung des Films. In der Realität ist es diese Generation, die Jahre später den Nährboden von Nazi-Deutschland darstellen wird. Ob und wie genau die Kinder hinter den Ereignissen stecken, ist daher nebensächlich – so wie es die Ereignisse für den Lehrer im Angesicht einer Entlassung werden. Und für die Geschichte angesichts der bevorstehenden Weltkriege.

Zur Vermittlung seiner Botschaft scheute Haneke keine Mühe und steckte viel Herzblut in dieses Projekt. Das merkt man ihm an, dieser Film ist mit Sicherheit einer der eindringlichsten der jüngeren deutschen Kinogeschichte. Die Bilder, geprägt von natürlichen, oft viel zu dunklen Lichtquellen, immerzu verstelltem Blick und einer bisweilen die Landschaft sterilisierenden Schwarz-Weiß Optik, prägen sich ein. Die Kamera fährt schwerfällig durch die Szenerie, verweigert uns, etwa vor einer Tür verharrend, oft den entscheidenden Blick auf die Ereignisse. So bleiben wir wie der Erzähler, der zu Beginn bereits einräumt, dass sich die Ereignisse nicht exakt so zugetragen haben müssen, immer ein bisschen abseits der Handlung.

Ähnlich wie das Bild sind die Dialoge, die in ihrer altmodischen, verschachtelten Sprache oft den Blick auf den Inhalt verstellen. Brilliant und oft mit fast schmerzhafter Präzision vorgetragen von einer bis in die letzte Rolle perfekt besetzten Crew entfalten sie so ihre hypnotische Wirkung auf den Zuschauer, die ihn die 2,5 Stunden Spielzeit vergessen lassen. Besonderes Lob haben die jungen Darsteller verdient. Mit ihren versteinerten, maskenhaften Mienen und einem eindringlichen Spiel schaffen sie eine dermaßen unkindliche Kälte, dass man sich des Nachts aus unruhigen Träumen schaudernd aufwachend an ihr Bild zu erinnern wähnt. Der auf ihnen lastende Druck der Erwachsenenwelt lässt sich hinter ihren Gesichtern nur erahnen, nur selten dringt er durch und nie sieht man ein Lachen. Wollen wir hoffen, dass sie zumindest in den Spielpausen Spaß hatten…

Das weiße Band ist kein schneller Kinogenuss, sondern ein angenehm sperriger, der Botschaft angemessener Film mit eindringlichen Motiven, die im Gedächtnis hängen bleiben. Und er ist nach der verdienten Goldenen Palme von Cannes ein aussichtsreicher deutscher Vorschlag für den Auslandsoscar. Krass, Digger! (9/10)

P.S.: Wem mein pathetisches Geschreibsel ähnlich zusammenhanglos erscheint wie der Film, der findet nachfolgend qualifizierte Rezensionen. Zum Film, nicht zum Geschreibsel, natürlich.

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