Kraftklub (mit K)

Schon Ende Februar ist klar: Um deutsche Musik muss man sich im Jahr 2012 keine Sorgen machen. Seit Anfang des Jahres erscheinen großartige Musikalben aus Deutschland mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre dem nie anders gewesen. Zunächst veröffentlicht mit Max Prosa ein junger Berliner sein Debüt Die Phantasie wird siegen, der erkennbar das Bob-Dylan-Gen in sich (und vor sich her) trägt. So zweispältig man dem Album gegenüber stehen kann, ist es wohl unbestritten, dass dieser junge Musiker, der eigentlich besser Max Lyrik heißen sollte, die Musikszene noch nachhaltig bereichern wird. Kurz darauf melden sich Kettcar mit ihrem vierten Album Zwischen den Runden erholt und weiser denn je zurück und machen sich auf, die wichtigste deutsche Band der Gegenwart zu werden. Doch die beiden geplanten Rezensionen werden von den Ereignissen überholt, als die Rotzlöffel von Kraftklub ihr kurz aber durchweg schlüssig betiteltes Debütalbum Mit K vorlegen.

Eine interessante Erfahrung dieser Tage kann man machen, wenn man Freunde fragt, ob sie schon einmal etwas von Kraftklub aus Chemnitz gehört haben – ungläubige Blicke zunächst („Wieso sollte ich eine Band aus Chemnitz kennen?“, „Wo genau liegt das überhaupt?“) – wenn man noch hinzufügt, dass die Mitglieder von Kraftklub allerdings darauf bestehen, aus Karl-Marx-Stadt zu kommen – auf einmal typische Erinnerungsanzeichen, gezückte Augenbrauen, leichtes Kopfheben („Ach ja, stimmt, die habe ich letztens im Fernsehen / bei YouTube / auf Spiegel Online…“) Was sagt uns das über die viel beschworene Einheit in den Köpfen im Jahr 23 nach dem Mauerfall? Keine Ahnung, aber das nenne ich mal effektives Marketing! Zudem ist es noch authentisch, da wohl niemand derzeit die Gedanken und Gefühle der Generation der Wendegeborenen besser auf den Punkt bringen kann als Felix Brummer, sprech-singender Kopf von Kraftklub mit frappierender Ähnlichkeit zu Oliver Pocher.

Gleich im ersten Song „Eure Mädchen“ wird das Selbstverständnis von Kraftklub ausgepackt: „Wir sind nicht wie die andern Jungs – doch eure Mädchen tanzen mit uns!“ Der Spagat zwischen völlig übersteigertem Selbstwertgefühl und dem Erkennen der eigenen Ausweg- und Nutzlosigkeit in nur einer Zeile verpackt, das ist das Geheimnis ihrer Texte. Das Ganze wird mit einem sensationellen Gespür für eingängige Melodien in Popsongs verpackt, die jetzt schon einer Generation als Identifikationsgut dienen. Gerade das scheinbare Paradoxon aus stolzer Verweigerungshaltung gegenüber alternativen Perspektiven wie im dritten Song „Ich will nicht nach Berlin“ („Auch wenn alle anderen Städte scheiße sind – Ich will nicht nach Berlin“) und Verachtung für die eigene Herkunft ist schlau und schlüssig zugleich. Und nachvollziehbar – wohlgemerkt nicht für Menschen, die schon mit 16 Jahren wussten, welchen BWL- oder Ingenieurstudiengang sie anstreben, weil sie da später mal gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben werden…

Dass genau diese Einstellung die fünf Jungs jetzt aus ihrer Heimat deutschlandweit in die Charts und auf Konzerte bis nach Zürich, Wien und Berlin (!) katapultiert, ist die zynische Pointe ihrer Erfolgsgeschichte, die Fragen aufwirft, die sie sicher auf ihrem zweiten Album genauso rotzig wie überraschend beantworten werden.


Kraftklub — Songs für Liam – MyVideo

Das großmäulige Verlierer-Image zieht sich durch alle Songs und alle Themen. So ist der Refrain von „Karl-Marx-Stadt“ folgerichtig in der Melodie von Beck’s „I’m a loser, baby“ gesungen, während in „Eure Mädchen“ von „den schwedischen Bands“ gesungen wird, die ihre Ideen klauen. Damit sind die musikalischen Referenzen schon ganz gut abgesteckt. Der Gipfel der Verehrung kulminiert jedoch im Refrain des großartigen „Songs für Liam“, in dem die „Welt ein bißchen weiger scheiße“ wäre, wenn „Noel wieder Songs für Liam“ schriebe.

Auch zum Thema Liebe verheddern sich Kraftklub in allerschönsten Widersprüchen: „Ich mein, hey, Du kannst mit wem Du willst abziehen – doch dieser Spasti hat Dich nicht verdient – Ich hasse ihn, ich hasse alle, die noch kommen werden – Ich würd gerne alle diese Spasten vom Balkon werfen – Wenn Du mir was bedeuten würdest… tust Du nicht – Ich lieb Dich nicht und es ist gut, wie es ist“.

Ich bin jetzt Mitte (böse Zungen sprechen von: Ende) Dreißig, aber wenn ich Mit K höre, dann fühle ich mich schlagartig wie Anfang Zwanzig. Das kann nur Musik.

„Wir sind zu jung to rock’n’roll“.
(9 Punkte)

4 Gedanken zu „Kraftklub (mit K)“

  1. „Scheissindiedisko“, die Platte ist echt der Hammer!……und das coolste, die spielen auch bei Hurricane!……jetzt wo du dich zumindest zeitweise wieder wie Mitte Zwanzig fühlst, könnte sich der Mittdreißiger ja vielleicht doch nochmal aufraffen um mit mir vor der Bühne abzurocken 😉

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