Die Rückkehr der Monster: R.E.M. – Accelerate

Oha, R.E.M. kloppen mal so eben ihr vierzehntes (!) Studioalbum heraus und nennen es gewohnt wortkarg aber ungewöhnlich extrovertiert Accelerate. Das erinnert in seiner Plakativität an ihre Schaffensphase Mitte der Neuziger Jahre, als die damals noch zu viert agierende Band nach ihrem ruhigen Überalbum Automatic for the people, immer noch eines der schönsten Alben aller Zeiten, ohne jede Vorwarnung die Handbremse lösten und den Millionen Kuschelrock-Fans den Nachfolger Monster um die Ohren klatschten.

Auch musikalisch ist der Vergleich mit dem Monster durchaus zulässig (wie mit Document und Green natürlich auch) und so rockt Accelerate gleich mit „Living well is the best revenge“ los, dass man entzückt die Augenbrauen heben möchte. Auch die erste Single „Supernatural superserious“, eingeleitet mit der großartig hintergründigen Zeile „everybody here – comes from somewhere“, wird mit einer been there, done that-Attitüde heraus gerotzt, die man damals bei „What’s the frequency, Kenneth?“ noch vermissen konnte.

Wie immer ist bei R.E.M. jeder Songtext ein kleiner Michael Stipe’scher Mikrokosmos, den man mit viel Mühe ergründen kann oder eben im melancholischen Genuschel versinken lässt. Wie selbst amerikanische Muttersprachler beim Mitsingen von R.E.M.-Liedern sagen: „C’mon, it’s R.E.M., you can make up your own words!“ Vielleicht liegt darin der nachhaltige Erfolg der Band, in der festen Überzeugung, dass Michael Stipe ein guter Mensch ist, der kluge Dinge singt, ohne zu einem Wanderprediger wie Bono zu werden, dass Mike Mills bestimmt an der richtigen Stelle im Hintergrund „Ahahahaaa“ singen wird und dass Peter Buck bis ans Ende aller Tage auch den abgedroschensten Akkordfolgen neues Leben einhauchen wird.

Eine weitere Gemeinsamkeit mit Monster ist jedoch leider auch, dass nicht alle Lieder des neuen Albums überzeugen können. „Man-sized wreath“ und „Hollow Man“ sind etwas zu stereotype Rocksongs geworden und „Sing for the submarine“ ist möglicherweise sogar das dämlichste Lied auf einem Studioalbum von R.E.M. aller Zeiten (Kommentare dazu sind sehr willkommen). Gewohnt großartig sind statt dessen das experimentelle „Houston“, das am Boden liegende „Until the day is done“ und die treibenden Rhythmusverschiebungen in „Mr. Richards“. Am Ende gibt es noch das gewöhnungsbedürftige aber durchaus gelungene „I’m gonna DJ“ auf die Ohren, um auch den Abschluss des Albums möglichst verstörend zu belassen. Eigentlich ein gutes Zeichen: Nach Monster folgte damals mit New adventures in Hi-Fi, das vielseitigste und vielleicht beste R.E.M.-Album überhaupt. Diese Band ist noch lange nicht fertig, womit auch immer, nein, sie nehmen gerade wieder Fahrt auf.
(7 Punkte)

Diskografie von R.E.M.:
1982 – Chronic Town E.P.
1983 – Murmur
1984 – Reckoning
1985 – Fables of the reconstruction
1986 – Life’s rich pageant
1987 – Dead letter office (B-side collection)
1987 – Document
1988 – Eponymous (Best of 1982 – 1987)
1988 – Green
1991 – Out of time
1991 – The best of R.E.M.
1992 – Automatic for the people
1994 – Monster
1996 – New adventures in Hi-Fi
1998 – Up
2001 – Reveal
2003 – In time (Best of 1988 – 2003)
2004 – Around the sun
2008 – Accelerate

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