Mit einem Paukenschlag sorgen Radiohead für den musi- kalischen Internet-Coup des Jahres, indem sie ihr neues Album zum download ins Netz stellen und es dem Käufer überlassen, wieviel er bereit ist, dafür zu zahlen. Naja, mag der Zyniker denken, kann denen ja auch egal sein, wieviel sie daran verdienen – die Statistik wenige Tage nach der Veröffentlichung ist jedoch überwältigend: 1,2 Millionen Downloads mit einem durchschnittlichen Kaufpreis von fast €6. Aha, denkt nun der geschäftstüchtige Ich-AGler, so verdient man also 7 Millionen Euro in zwei Tagen, und lädt sich die neue Version von WaveLab auf den Rechner. Inwiefern eine etablierte Band wie Radiohead mit Fans, die inzwischen Unternehmensberater oder Google-Programmierer sind und gerne ein paar Euro für 10 neue Lieder hinlegen, beispielhaft für die gesamte Musikbranche sein kann, sei an dieser Stelle mal dahin gestellt. Eines ist jedoch sicher: Die Universals, SONYs und Warners dieser Welt sitzen ab sofort nervös in unzähligen Krisenmeetings zusammen, um erstens festzustellen, dass sie den technologischen Möglichkeiten ihrer Zeit mächtig hinterher schlurfen, und zweitens neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, um auch in Zukunft Dreh- und Angelpunkt des Musikvertriebs zu bleiben. Oder um es kurz auszudrücken: Der hat gesessen!
Um so erfreulicher ist es, dass das Album auch musikalisch Freude bereitet. Fast erscheint es, als ob die geplante Form der Veröffentlichung die Musiker um den etwas schrägen Sänger Thom Yorke von 10 Jahre alten Zwängen und Limitationen befreit, die ihre letzten Veröffentlichungen immer so unnahbar und introvertiert erscheinen ließen. Denn ziemlich genau 10 Jahre ist es her, dass OK Computer erschien, jenes Album, welches von allen normal hörenden Menschen dieses Planeten als die beste Platte der 90er Jahre, wenn nicht aller Zeiten, bezeichnet werden muss. Seitdem sind Radiohead unsterblich, keine Frage, aber seitdem hörte man auch jedem ihrer Alben an, dass es möglichst anders klingen sollte als OK Computer, um den Vergleich gar nicht erst aufkommen zu lassen. Das auf diese Weise dennoch drei der besten Alben des Jahrzehnts entstanden, spricht für die Qualität der Band.
In rainbows beginnt mit dem Song „15 step“ und bei den ersten zerhackstückelten Breakbeats und Thom Yorkes zerbrechlicher Stimme befürchtet man schon, dass es sich bei dieser neuen Veröffentlichung um ein getarntes weiteres Solowerk des Sängers handeln könnte. Doch wenn nach nur 41 Sekunden Bass und Gitarre einsetzen, weiß man sofort, was man an seinem etwas entäuschenden Soloalbum The Eraser so vermisst hat. Im folgenden entwickelt sich vor den erstaunten Ohren des Hörers ein Album, welches sich wie immer bei Radiohead in einem anderen Universum abzuspielen scheint, aber nicht mehr vor eingängigen Melodien und klaren Songstrukturen zurückzuschrecken scheint wie noch Hail to the thief aus dem Jahr 2003. „Bodysnatcher“ rockt so unbedarft wie zu The Bends-Zeiten und „Nude“ ist eine immer weiter wachsende Ballade, in der es bei jedem Durchlauf neue Melodieführungen zu entdecken gibt. „Weird Fishes/Arpeggi“ und „All I need“ sind nicht mehr für möglich gehaltene Popsongs. Die abschließenden „Jigsaw falling into place“ und „Videotape“ geben den würdigen Abschluss für eines dieser Alben, bei denen man sich auch noch nach Jahren an den Moment erinnert, als es plötzlich nicht mehr wegzudenken war.
Nur zu Thom Yorkes Beruhigung, dieses Album ist kein zweites OK Computer. Es ist ein erstes „in rainbows„.
(10 Punkte)
Diskografie von Radiohead:
1993 – Pablo Honey
1995 – The Bends
1997 – OK Computer
1998 – Airbag/How am I driving?-EP (B-Sides from OK Computer)
2000 – Kid A
2001 – Amnesiac
2003 – Hail to the thief
2004 – Com Lag – 2+2=5-EP (B-Sides from Hail to the thief)
2007 – In rainbows