Eine der unheimlichsten Erfahrungen, die einem derzeit mit deutschsprachiger Popmusik passieren kann, ist ohne Zweifel die folgende: Menschen, mit denen man vertraut ist, ja, die man vielleicht sogar mal mochte, vergleichen ganz beiläufig im Gespräch die Musik von Wir sind Helden mit der von Juli oder Silbermond. Aus Fassungslosigkeit weiß man nicht, wie man reagieren soll, Schweißperlen bilden sich auf der Stirn, man zahlt sein Bier und verlässt aus irgendeinem fadenscheinigen Grund die Kneipe. Für all diejenigen, die schonmal ähnlich absurde Gedanken gehabt haben sollten: Das einzige, was Wir sind Helden mit der Stammtischromantik der Schülersprecherinnenband Juli oder dem Hitradiogeträller von Silbermond zu tun haben, ist eine weibliche Sängerin, die auf Deutsch singt. Und das war’s auch schon.
So, und so kommen wir zu der neuen Platte unserer echten Helden. Soundso ist eine großartige Platte geworden. Die Sängerin Judith Holofernes reimt, lautmalt, wortspielt und zungenbricht sich wieder durch das gesamte Album, dass einem allein das Lesen der Texte auch ohne musikalische Untermalung eine lyrische Freude bereitet. Das Songwriting der Band ist im Vergleich zu der letzten Platte Von hier an blind zielsicherer und direkter geworden und Judith Holofernes trägt dazu mit ihrem angedeuteten Berliner Akzent Lebensweisheiten vor, um sie nur wenige Zeilen später zu demaskieren und neu zu interpretieren.
„Ode an die Arbeit“ als Einstieg ist ein herrlich sinnfreies Dialogstück. In „Die Konkurrenz“, einer absolut hittauglichen Persiflage auf die Ellenbogengesellschaft und deren Einfluss auf unsere Freizeitaktivitäten, heißt es zuerst „alle für einen und einer für alle“, später wird daraus „jetzt bin ich der eine und ihr anderen seid alle“. Die Dauerpräsenz der tollen zweiten Single „Soundso“ im Hörfunk ist vorprogrammiert und mit „Kaputt“ errichten die Helden mal eben ein neues „Denkmal“. Soundso ist die durchgehend gute Sommerplatte geworden, auf die wir gewartet haben und die man sich für die Fahrt zum Strand wünscht. Lediglich das etwas biedere Duett „Für nichts garantieren“ hätte man sich sparen können und die Wahl der ersten Single „Endlich ein Grund zur Panik“ als offensichtlicher Akt der Verweigerung hätte eine Band wie diese gar nicht nötig gehabt. Das Prädikat „Bestes Deutsches Album des Jahres“ wird jedoch erst nach Erscheinen der neuen Tocotronic-Platte vergeben.
(9 Punkte)
Habe das mal als Spickzettel zusammengeschrieben (für den Bierdeckel):
– Juli: Stammtischromantik, Schülersprecherinnenband
– Silbermond: Hitradiogeträller
Endlich traut sich jemand, das mal auszusprechen…
Was mir noch fehlt ist Tokio Hotel – singen auf Deutsch und haben auch eine Sängerin…
Gruß,
Christoph