Vor dem Vergessen bewahren: Elliott Smith – New Moon

New Moon - CD bestellenWenn in diesen Tagen die Doppel-CD New moon von Elliott Smith erscheint, ist das eine gute Gelegenheit, sich an einen der talentiertesten Songwriter der Neunziger Jahre zu erinnern. Mit dem besonderen Gespür für feinsinnige Melodien und durchdringende Melancholie schuf Elliott Smith zwischen 1994 und 2000 zwei bis drei unvergessliche Alben sowie mit „Miss Misery“ für den Film Good Will Hunting das wohl schönste Lied, welches je für einen Oscar nominiert war.
Elliott Smiths künstlerisches Schaffen beginnt als Sänger der Band Heatmiser, die sich wie so viele andere Bands Anfang der Neunziger Jahre im Kielwasser des Erfolgs von Nirvana einen Namen zu machen suchen. Schnell wird klar, dass der Eigenbrötler Smith sich wohler fühlt, wenn er seine eigenen Songs für sich alleine aufnehmen kann, ohne sich von anderen hereinreden lassen zu müssen. So entsteht ganz nebenbei das eher skizzenhafte erste Album Roman Candle, aufgenommen auf four track und nie zur Veröffentlichung gedacht, wäre nicht das Independent-Label Cavity Search Records darauf aufmerksam geworden.
Bestätigt durch die positiven Reaktionen löst sich Elliott Smith immer mehr von seiner Band und seine Soloarbeiten rücken in den Vordergrund. Er unterschreibt bei dem Label Kill Rock Stars, bei dem auch seine beiden nächsten wunderbaren Alben erscheinen. Schon auf dem selbstbetitelten Nachfolger mit Songs wie „Needle in the hay“ oder dem zum Niederknien schönen „The biggest lie“ sind die Kompositionen ausgefeilter, wenn sich auch die Instrumentierung weiterhin hauptsächlich auf akustische Gitarre und seine brüchig sanfte und stets gedoppelte Stimme beschränkt.
1997 erscheint das ganz unglaubliche Either/or, eines dieser Alben, wie man sie nur alle drei bis vier Jahre entdeckt, von so eindringlicher Schönheit und Traurigkeit, dass es einem auch nach Jahren unermüdlichen Hörens immer wieder den Atem verschlägt. Die Kompositionen enthalten nun mehrheitlich auch Bass und Schlagzeug, Elliott Smith wird weltweit zum Geheimtipp, insbesondere nachdem Regisseur Gus van Sant, ihn bittet, fünf Stücke zu dem Soundtrack von Good Will Hunting beizusteuern (darunter „Miss Misery“). Elliott Smith wird für den Oskar nominiert, die Major Labels werden aufmerksam und er unterschreibt schließlich bei DreamWorks Records. Das kurz darauf erscheinende XO schließt nahtlos an seinen Vorgänger an, wenn auch die Produktion eines Major Labels durchaus hörbar ist, und wird mit dem kleinen Hit „Waltz #2 (XO)“ zu seinem erfolgreichsten Album.
Dass Elliott Smith Probleme hat, wird immer auffälliger. Sein nächstes Album Figure 8 ist zu oppulent gestaltet, floppt zu Recht und seine Konzerte werden zum Teil unerträglich. In einer kanadischen Rezension wird eines seiner Konzerte 2002 gar als das schlechteste Konzert aller Zeiten bezeichnet, in dessen Verlauf sich der Sänger offenbar mehrfach vom Publikum den Text und die Akkorde seiner eigenen Lieder vorsagen lassen muss. Die Rezension endet mit der Aussage, dass es kaum überraschend wäre, wenn der Künstler das nächste Jahr nicht überlebt. Tatsächlich stirbt Elliott Smith im Oktober 2003 an selbstverursachten Messerstichen.
Ein Jahr später erscheint das letzte Studioalbum von Elliott Smith, an welchem er bis zu seinem Tod gearbeitet hatte. From a basement on the hill kommt dem Bild des perfekten Albums sehr nahe. Der Interpret wirkt erholter und aufgeräumter, aber eine gewisse Todessehnsucht lässt sich in den Texten nicht leugnen. Besonders die ruhigeren Stücke „Let’s get lost“, „Pretty (ugly before)“ und „A fond farewell“ gehören zu dem besten, was Elliott Smith je geschrieben hat.
Die neue Veröffentlichung New Moon ist ein Sammlung von Aufnahmen aus Elliott’s Zeit bei dem Label Kill Rock Stars. Es ist einfach umwerfend, man legt die CD ein und plötzlich ist er wieder da. Wie es sein kann, dass Lieder wie „Angel in the snow“, „Going nowhere“ oder etwa „Pathfinder“ es nicht auf die Alben Elliott Smith bzw. Either/or geschafft haben, wird wohl auf ewig sein Geheimnis bleiben. Auch die Originalversion von „Miss Misery“ mit dem ursprünglichen Text findet sich in dieser Sammlung und treibt einem die Tränen in die Augen. Elliott Smith ist ein trauriges Beispiel für die Vergänglichkeit der Zeit und doch bleibt er erhalten. Und falls seine Lieder in zwanzig Jahren von niemandem mehr gehört werden, dann müssen wir uns das vorwerfen lassen.
(9 Punkte)

Either/or
Diskografie von Elliott Smith
1994 – Roman candle
1995 – Elliott Smith
1997 – Either/or
1998 – XO
2000 – Figure 8
2004 – From a basement on the hill
2007 – New moon

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