Machmal ist alles tatsächlich nur eine Frage der Motivation. Meine sah heute morgen folgendermaßen aus: Ich befinde mich auf meinem Fahrrad und dem Weg zur Arbeit und als ob es nicht ausreichen würde, dass es regnet und ich verkatert bin, erblicke ich ein Plakat, auf dem das neue Creed-Album als das „Comeback des Jahres“ angepriesen wird… Nicht verstanden? Egal! Jetzt also zum Backspacer des Jahres: Die Pearl Jam der Nuller Jahre waren erwartungsgemäß nicht mit denen der Neunziger Jahre zu vergleichen. Trotz großartiger Songs („I Am Mine“, „Man of the Hour“, „Inside Job“) und unvergesslicher Konzerte blieben mit Riot Act und dessen selbstbetitelten Nachfolger zwei unschlüssige und irgendwie schwermütige Alben in Erinnerung, die die Grunge-Veteranen nun mit Backspacer jedoch wie eine dicke Staubschicht von sich geschüttelt haben. Schütteln ist überhaupt das Stichwort. Die ersten drei Songs des neuen Albums schütteln den Hörer gleich mal so richtig durch und offenbaren noch dazu einen ungeahnt naiven Frohmut.
Da wird plötzlich nicht mehr vom „World Wide Suicide“ gesungen, sondern von dem Freund, den man treffen wird, oder dem Wunsch, einfach mal alles in Ordnung bringen zu wollen. Überhaupt ist „The Fixer“ nicht nur eine perfekte erste Single, nein, so schön haben Gitarrenriff und Klavierpart nicht mehr ineinander gegriffen seit The Who 1971 (!) „Baba O’Reilly“ veröffentlichten. Ein Song, der im Übrigen von Pearl Jam auf geschätzten 80% ihrer Konzerte gecovert wird. Selbst wenn sich die Aussagen ähneln, was in „Life Wasted“ noch frustriert wirkte, klingt jetzt in „Amongst the Waves“, überhaupt DIE Hymne des Albums, unendlich leicht. Ganz klar, da hat jemand seinen Frieden gefunden. Was noch deutlicher in dem stark an Eddie Vedder’s Into the Wild Soundtrack erinnernden „Just Breathe“ zum Ausdruck kommt. Das allein Obama’s Wahlsieg zuzuschreiben, wird dem Gedanken an ein eigenes Leben wohl nicht gerecht.
Der stärkste Song des Albums, heißt dann auch „Unthought Known“. Wer hier nicht nach spätestens anderthalb Minuten abhebt… ach, dann weiß ich auch nicht!
See the path cut by the moon – for you to walk on
See the waves on distant shores – awaiting your arrival
Dream the dreams of other men – you will be no one’s rival
Dream the dream of others then – you will be no one’s rival
Gegen Ende des, in den USA nur im Einzelhandel vertriebenen Albums lehnen sich Pearl Jam dann gewaltig aus dem Fenster. Drei der letzten vier Songs mit Titeln zu versehen, die bereits derart von anderen Bands belegt sind („Supersonic“, „Speed of Sound“ und „The End“), ist gelinde gesagt mutig. Da kann man fast froh sein, dass sie das Album Backspacer und nicht, sagen wir, Revolver genannt haben. Wie auch immer, es funktioniert. Beim Hören der Songs denkt keiner an Oasis, Coldplay oder gar die Doors, sondern nur noch an Pearl Jam, die das Jahrzehnt mit Backspacer gepflegt rockend ausklingen lassen. Und man möchte sich fast mit den Worten Ed Vedder’s verabschieden:
My dear, the end comes near, I’m here, but not much longer…
Wären da nicht das sinnlose „Johnny Guitar“ und der fast unerträglich pathetische Refrain von „Just Breathe“, könnte man fast die Höchstnote vergeben… ach, was soll’s!
(10 Punkte)
Studioalben von Pearl Jam:
1991 – Ten
1993 – Vs.
1994 – Vitalogy
1996 – No Code
1998 – Yield
2000 – Binaural
2002 – Riot Act
2006 – Pearl Jam
2009 – Backspacer