Da wartet man seit fast drei Jahren auf eine neue TempEau.-Platte, um dann in irgendeiner Randnotiz zu erfahren, dass sich die fünf Mitglieder von Selig wieder vereinigt haben, um ein neues Album aufzunehmen und damit auf Tour zu gehen. Moment mal, war nach dem Ende von Selig nicht von einer reinen „Zufallsgemeinschaft“ gesprochen worden, die man nun endlich hinter sich lassen konnte, um sich in anderen, besseren Projekten zu verwirklichen. Die Diskrepanz zu dem nicht gerade bescheidenen Titel des neuen Albums könnte größer nicht sein. Auch die Verwendung des exakt gleichen Bandlogos wie auf dem ersten Selig Album verdeutlicht den Grund dieses Comebacks – es ist der Wunsch nach Wieder- und vor allem wieder nach Anerkennung. Würde man Selig nicht zufällig für die beste deutsche Band der Neunziger Jahre halten, so wäre Und endlich unendlich ein perfektes Beispiel für ein Album, das man sich aus Prinzip nicht kauft. Aber so? Tja, so findet man sich am Tag der Veröffentlichung mit der neu erworbenen CD vor seiner Musikanlage wieder und lässt sich von Jan Plewkas Gesang und Christian Neanders Gitarrenspiel in die Boxen ziehen, um mitten in den Neunziger Jahren wieder ausgespuckt zu werden.
Damals hatte man natürlich nicht verstanden, dass dieser eindringliche Sound einfach nur eine gelungene Mischung aus deutschrockenden Bands wie Ton, Steine, Scherben und Spliff mit einer Prise US-Grunge war. Es war auch egal, „Sie hat geschrien“, „Wenn ich wollte“, „Ist es wichtig?“ oder auch „Regenbogenleicht“ und „Ich geh noch mal spazieren“ gehören zum Soundtrack meines Lebens, verdammt noch mal!
Jetzt setzen Selig direkt dort an, am Ende ihres ersten Albums, als wären das schräge und hart rockende „Hier“ und das zu Unrecht gescholtene, elektronisch experimentelle „Blender“ nie passiert. Zu Anfang gelingt das überaschend gut, „Auf dem Weg zur Ruhe“ ist ein schön unentschlossener Einstieg, in dem Jan Plewka einmal mehr seinem Idol Rio Reiser nacheifert, „Wir werden uns wiedersehen“ ist der eingängigste Song des Albums und eine geeignetere Comeback-Single als „Schau, schau“ hätte man sich für Selig kaum vorstellen können.
Danach jedoch bestrafen sich die fünf Norddeutschen für die konsequente aber auch mutlose Zeitresistenz selbst und lassen die Songs ein ums andere Mal in die Beliebigkeit abdriften. „Ich fall in Deine Arme“ oder „Der schönste aller Wege“ sind textlich und musikalisch doch sehr belanglos. „Ich bin so gefährdet“ ist der klägliche Versuche an das laszive Meisterwerk „Ohne Dich“ anzuknüpfen. Gelungen dagegen ist z.B. die Anti-Retro-Hymne „Die alte Zeit zurück“, in der dann endlich auch mal über 12 Jahre dauernde Selig-Pause reflektiert wird.
Hast Du nicht damals am lautesten geschrien:
„Lass uns raus hier, und die Welt sehen!“
Und all die Bands, die Du gegründet hast…
was wurde aus denen?
Das ebenfalls sehr gelungene sphärische, selbstzitierende „Lang lebe die Nacht“ kommt der Idee von Selig im 21. Jahrhundert ziemlich nah. Es ist einer dieser Momente, wenn Jan Plewkas Stimme im Refrain fast schmilzt und die Musik sich angenehm zurück hält, einer dieser Selig-Momente, die Bilder in unserem Kopf erzeugt haben, bis wir ihnen eigene Bilder hinzufügen konnten. Ein neues Album von TempEau. wäre mir dennoch lieber gewesen.
(7 Punkte)
Diskografie von Selig:
1994 – Selig
1995 – Hier
1997 – Blender
1999 – Für immer und selig (Best of)
2009 – Und endlich unendlich
Weitere Veröffentlichungen von Jan Plewka:
2002 – Jan Plewka – Zuhause, da war ich schon
2004 – Zinoba
2005 – TempEau.
2006 – TempEau. – Kein Weg zurück
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