Felix Meyer – Von Engeln und Schweinen

Diese Geschichte ist schon ziemlich unglaublich. Und nur die Tatsache, dass ich Felix seit fast 20 Jahren kenne, hält mich davon ab, müde die Augenbraue zu heben und mich zu fragen, wann der Musikbranche endlich wieder bessere Stories zu neuen Veröffentlichungen einfallen werden. In dieser (wahren) Geschichte zieht ein junger Berliner Rotzlöffel namens Felix nach dem Abitur musizierend und fotografierend durch die Welt, um nach über zehn Jahren in der Fußgängerzone von Lüneburg (!) vom Produzenten von Tokio Hotel (!!!) „entdeckt“ zu werden. Ja ja, ich weiß, was ihr denkt… sagte ich schon, dass ich mit Felix einen relevanten Teil meiner Jugend verbracht habe?

Nach nicht ganz zwei Jahren Produktionszeit liegt nun das erste Studioalbum von Felix Meyer und seiner Band vor. Produziert von Peter Hoffmann (Tokio Hotel) und Franz Plasa (Selig, Keimzeit) und ihrer HoPla Reloaded Musik GmbH, die es sich zum Ziel gesetzt hat, junge Künstler behutsam aufzubauen. Schon vor der Veröffentlichung tourte die Band wochenlang, ihren Wurzeln treu bleibend, durch die Fußgängerzonen des Landes und erspielte sich auf der Straße eine gewisse Geheimtippbekanntheit, die sich etwa in den wohlwollenden Kommentaren bei amazon.de zu dem Album wiederspiegelt. Ähnlich zurückhaltend und rückwärtsgewandt wie das Marketing präsentiert sich auch ihre Musik.

Gleich zu Beginn des ersten Liedes, augenzwinkernd „Zum Schluss“ betitelt, überrascht uns ein Akkordeon, welches Felix‘ fast schon hoffnungsfrohe Gedanken zum Ende einer Beziehung einrahmt. Im darauffolgenden, sehr eingängigen „Zeitgeist“ ist es ein Banjo, dass dem Ganzen eine angenehm unhippe Note gibt. Nein, dem Zeitgeist wollen Felix und seine Engel sich wirklich nicht unterwerfen und in Liedern wie „Antworten, Erfahrungen“, „Der reichste Mann“ oder „Früher mal gelebt“ wird auch schnell die Frage nach den musikalischen Vorbildern der Engel und Schweine beantwortet. Vergleiche zu Keimzeit und vor allem zu Element of Crime drängen sich auf und sind wohl auch so beabsichtigt. Jedes Lied ist fein instrumentiert und Felix‘ Stimme, der man das jahrelange Ansingen gegen Umgebungsgeräusche in Fußgängerzonen durchaus anhört, knödelt sich stimmig durch seine durchweg ernsten Texte.

In dem zentralen „Nordwind“ schlägt sich dann allerdings doch noch das Dilemma wieder, eine authentische Band wie diese in einem massenkompatiblem Medium wie einer Musik-CD einfangen zu wollen. Eigentlich eine naiv-schöne Komposition, wird das Lied von einer Plasa-typischen Produktion überfrachtet, so dass man an einigen Stellen fast Angst bekommt, Laith Al-Deen könne gleich anfangen mitzusingen.

Zu den besten Liedern gehören wiederum die zwei aus dem Französischen übersetzten Coverversionen „Die Corrida“ („La Corrida“ von Francis Cabrel) und „Der Wind trägt uns davon“ („Le vent nous portera“ von Noir Désir). Insbesondere ersteres treibt einem geradezu die Tränen in die Augen, wenn man sich erst mal auf die überraschende Perspektive des Textes eingelassen hat.

Vielleicht ist Felix Meyer in keinem der Lieder so sehr Felix Meyer wie in dem letzten lässig-lapidaren „Kaffee ans Bett“, in dem er sich von seinen Vorbildern emanzipiert und auch mal ein befreiendes „Ist doch Scheiße“ einstreut, bevor er den Hörer mit dem guten Gefühl zurück lässt, Probleme könnten sich auch bei einem Kaffee im Bett lösen lassen. Und wenn nicht, dann eben nicht.
(9 Punkte)

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