Es muss nicht immer eine der ganz großen Metropolen Europas sein, auch fernab von der typischen Mainstream-Städtereise nach Paris, London oder Rom gibt es die kleinen, etwas beschaulicheren, aber nicht minder sehenswerten Städte, die nur darauf warten, entdeckt zu werden. So nimmt das Jahr der Städtereisen nach Besuchen in Edinburgh, Amsterdam, Brüssel, Brügge und Antwerpen in einer Perle der Ostsee sein Ende – Wilkommen in Danzig!
Danzig, die 1000jährige Stadt, immer geprägt von ihrer eigenwillige Bevölkerung, ständig auf der Suche nach der eigenen Identität und mit einer sehr bewegten Geschichte, aber dazu später mehr.
Zunächst heißt es auch hier, typisch Ryanair, mit dem Bus vom Flughafen in die Stadt zu zuckeln, vorbei an Plattenbauten und weniger schönen Vororten……Ostblockerwartungen. Vieles wirkt wie mit gutem Vorsatz angefangen, aber nicht mit dem gleichen Elan zu Ende gebracht. Auch das Hostel macht von Außen zunächst wirklich nicht viel her. Um ehrlich zu sein, das Haus sah „scheiße“ schlimm [geändert, d. Red] aus. Aber wie bei so vielen Dingen in Polen lohnt ein zweiter, genauerer Blick, denn meistens wird man von dem, was man hinter den Kulissen entdeckt, positiv überrascht.
So erwartet einen in Danzigs historischem Stadtzentrum eine nach dem Krieg mühsam und wunderschön restaurierte Altstadt mit vielen sehr hübschen Herrenhäusern rund um den Langen Markt, einer wirklich beeindruckenden Flaniermeile entlang der Langgasse, und mit der Marienkirche die größte Backsteinkirche Europas. Nicht zu vergessen natürlich die Promenade entlang der Mottlau bis zum Wahrzeichen der Stadt, dem alten Krantor.
Danzig soll einmal die Stadt der 40 Tore gewesen sein. Von denen sind zwar nur noch ein paar übrig, die vermitteln allerdings einen guten Eindruck davon, wie reich die Stadt zu Hansezeiten gewesen sein muss. Heute könnte man sie auch scherzhaft die Stadt der 40 Toiletten nennen, denn nahezu an jeder Ecke gibt es eine Möglichkeit, eine öffentliche Örtlichkeit aufzusuchen. Kein Wunder also, dass am Wochenende Heerschaaren von Touristengruppen (vor allem der weißhaarige Generation) einfallen, um eben ohne Druck die Langgasse & Co. zu bestaunen. Erfreulich für den Individualtouristen ist es, dass es viele eben nicht weiter schaffen als vom Goldenen Tor zum Krantor, und die anderen kleinen Gasse der Altstadt daher lange nicht so überlaufen sind.
Die strategisch günstige Lage an der Mündung der Weichsel in die Ostsee brachte Danzig schon früh großen Reichtum durch einen regen Handelsverkehr. Einen viel größeren Schatz welcher der Stadt einen noch viel stärkeren Bekanntheitsgrad bescheeren sollte lag praktisch vor ihren Toren direkt am Strand, dass so genannte Gold der Ostsee der Bernstein. Dieser Schmuckstein aus fossilen Harzen ist auch heute noch bevorzugt an den Stränden zwischen Kaliningrad und Danzig zu finden und so überrascht es nicht, dass man auch heute noch reichlich Gelegenheit bekommt sein Geld in schmuckes, altes Baumharz zu investieren.
Wie sagte die Mutter von Oskar Matzerath in der Blechtrommel von Günther Grass so treffend:
„Wenn man Kaschub is, das raicht weder de Deitschen noch de Pollacken“
Dieses Zitat beschreibt wohl am besten das Identitätsgefühlgefühl der Region (Kaschubien) in den Vorkriegsjahren. Danzig war immer schon zwischen Deutschen, Polen und der eignen Identität hin und her gerrissen. Im 14 Jahrhundert wurde die Stadt vom deutschen Ritterorden erobert, im 15 Jahrhundert dann von den polnischen Truppen nach langem Krieg befreit, um im 18 Jahrhundert wieder unter preußische Verwaltung gestellt zu werden. Schließlich erhielt Danzig nach dem ersten Weltkrieg, im Zuge des Versailler Vertrages, 1920 den Status einer Freien Stadt, was viele deutsche als Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker empfanden. So erklärt sich auch, warum gerade Danzig als erstes Ziel von Hitler für den Überfall auf Polen ausgewählt wurde. Vor dem Zweiten Weltkrieg, unter dem Schutz des Völkerbundes, bestand die Stadtbevölkerung zu fast 95% aus Deutschen, die man erst in den Nachkriegsjahren systematisch aus der Stadt vertrieben hat.
Bewegt ging es auch nach dem Krieg weiter. So ist es schon ein bemerkenswerter Schachzug der Geschichte, dass die größten politischen Umwälzungen der polnischen Neuzeit in starkem Maße auch von dieser so lange Zeit um seine Identität kämpfenden Stadt ausgegangen sind, die schließlich zu dem Polen geführt haben, das wir heute kennen.
Eine wirklich eindrucksvolle Ausstellung dazu mit dem Titel Roads to Freedom bietet ein kleines Museum nahe der Danziger Werft. Die Ausstellung zeigt die Geschichte der streikenden Werftarbeiter, sowie der lange Zeit verbotenen Gewerkschaft Solidarność und ihrem Vorsitzenden Lech Wałęsa. Eindrucksvoll wird der harte Kampf der polnischen Bevölkerung für eines der größten Güter der Menschheit dargestellt – die Freiheit. Absolut Sehenswert!
Und heute? Polen gehört schon seit ein paar Jahren zur EU, der Euro wird auch früher oder später kommen, und die Deutsche sind als Touristen zurückgekehrt, um friedlich die Schönheit der Stadt zu bewundern und polnische Spezialitäten wie Pierogi (Maultaschen) oder Bigos (Krauteintopf) zu genießen. Unter ihnen in diesem Herbst auch ein spezieller Hamburger Jung, der in ein paar relaxten Tagen mehr gelernt hat als er erwarten konnte – wie schon Eingangs erwähnt, Polen gewinnt auf den zweiten Blick!