George Michael, you have been loved!

Weihnachtszeit 1984. Ich bin 9 Jahre alt und höre mir mit meinem Vater die Hits des vergangenen Jahres an. Wir sitzen vor der Stereoanlage im Wohnzimmer und hören Stevie Wonder, Paul Young, Frankie Goes to Hollywood, Nino de Angelo und Alphaville. Vieles gefällt mir. Doch ein Lied erstrahlt heller als die anderen und löst in mir etwas Unbekanntes aus. „Wake me up before you go-go“ transportiert Lebensfreude und Melancholie gleichzeitig und läuft immer und immer wieder. Mein Vater kauft für mich die Schallplatte Make it Big. Täglich lasse ich mich von den beiden sonnengebräunten, gut frisierten Typen vom Plattencover anschmachten. Bald kann ich „Everything She Wants“ und „Careless Whisper“ in einer Mischung aus Englisch und Fantasiesprache mitsingen und schmachte zurück. Im Radio läuft „Last Christmas“. Wham! wird meine erste Lieblingsband!

Für die nächsten zwei Jahre sind George Michael und Andrew Ridgeley aus meinem Leben nicht wegzudenken. Ich kaufe mir die BRAVO, hebe alle Zeitungsausschnitte und Fotos auf und klebe sie in einen Ordner. Spare solange Geld, bis ich mir das Debutalbum Fantastic kaufen kann. Weihnachten 1985 verbringe ich fast durchgehend in Reichweite meines Stereo-Cassetten-Recorders – die Aufnahmetaste immer im Anschlag, für den Fall dass auf SFB oder RIAS2 „I’m Your Man“ gespielt wird. Meistens läuft nur „Last Christmas“, doch dann gelingt mir eine halbe Aufnahme und ich bin im siebten Himmel.


Im Frühjahr 1986 geben Wham! ihre Trennung bekannt und ich bin am Boden zerstört. Die Aussicht auf ein Soloalbum von George Michael tröstet mich nicht. Meine Klassenkameraden hören Depeche Mode, Erasure und a-ha. Ich höre weiter Wham! Zu Weihnachten 1986 steht das Abschiedsalbum The Final unterm Weihnachtsbaum und ich schwelge in den guten alten Zeiten. Im Radio läuft wieder „Last Christmas“ und auf The Final ist es auch noch drauf.

Ein Jahr später wird an derselben Stelle unterm Weihnachtsbaum das erste Soloalbum von George Michael stehen. Trotz toller zweiter Alben von a-ha und den Pet Shop Boys, bleibt George Michael auch 1987 omnipräsent, wird durch Duette mit Elton John und Aretha Franklin geadelt und erreicht eine neue Stufe expliziter Texte. Wo Prince in den prüden Mittachtzigern noch zweideutig von Küssen sang, singt George Michael im Sommer 1987 einfach „I Want Your Sex“ – ziemlich harter Tobak für einen 12-Jährigen! Doch die eingängigen Lieder und die musikalische Vielfalt auf Faith hauen mich um. Der unglaubliche Erfolg des Albums macht mich stolz. Zu Weihnachten läuft im Radio immer noch „Last Christmas“, doch im Vergleich zu den Songs auf Faith wirkt das drei Jahre alte Lied wie ein Relikt aus lange vergangenen Zeiten.

Während sich der Schleier der Vergessenheit über Andrew Ridgeley legt, steigt George Michael neben Madonna und Michael Jackson zum Superstar seiner Zeit auf. Weihnachten 1990 schenkt mir meine Schwester Listen Without Prejudice Vol. 1 und obwohl es ein großartiges Album ist, ist meine Liebe erloschen. Das Album landet schnell im Plattenregal und wird dort nach und nach von UB40, R.E.M., Nirvana und Pearl Jam verdrängt.

Weihnachten 1998. „Last Christmas“ ist längst zu diesem Weihnachtslied geworden, das keiner mehr hören möchte und trotzdem überall gespielt wird. Ich bekomme Ladies & Gentlemen geschenkt. George Michael hatte sich inzwischen als homosexuell geoutet (Überraschung!), wurde beim Onanieren auf einer öffentlichen Toilette erwischt und pariert den Affront souverän mit der Single „Outside“. Wir tanzen jede Nacht. Ein letztes Mal bin ich beeindruckt von seinem Gespür für Melodie, von seinem Einsatz für sexuelle Offenheit, von seiner Stimme. Danach nur noch die Erinnerungen an zunehmend schreckliche Bilder von George Michael: Das Gesicht – maskenhaft von zu vielen Schönheitsoperationen, aufgedunsen von zu vielen Drogen. Mein Interesse erlischt.

Weihnachten 2016. Es ist wohl der zynischste Witz der Musikgeschichte, dass George Michael ausgerechnet an Weihnachten stirbt. Zu leicht wird es dadurch, ihn auf dieses eine Lied zu beschränken. Dabei hatte er viel größere Songs und in diesen hat er zu Toleranz, Vielfältigkeit und Offenheit aufgerufen. Und für mich hat er das Tor zur Musik weit aufgestoßen – nicht nur, aber auch in der Weihnachtszeit.
Mach’s gut, Georgios! Maybe we should all be praying for time!

Diskografie von Wham!:
1983 – Fantastic
1984 – Make it Big
1986 – Music from the Edge of Heaven (nur Nordamerika und Japan)
1986 – The Final

Diskografie von George Michael:
1987 – Faith
1990 – Listen Without Prejudice Vol. 1
1993 – Five Live (mit Queen)
1996 – Older
1998 – Ladies & Gentlemen (Best of)
1999 – Songs from the Last Century
2004 – Patience
2006 – TwentyFive (Best of)
2014 – Symphonica

Schreibe einen Kommentar

* Die DSGVO-Checkbox ist ein Pflichtfeld

*

Ich stimme zu